Stille Nacht vor 50 Jahren
Wenn uns Kindern die Tage nicht kurz genug sein konnten und wir vor großer Ungeduld zu zappeln begannen, dann war Vorweihnachtszeit und Gott sei Dank nicht mehr lange hin zum “heiligen Abend”. Nie war ein
Weihnachtsfest im Familienkreis wie das andere. Denn mit fünf erlebst du anders als mit neun und mit sieben Lenzen anders als mit zwölf. der 24. Dezember war der ersehnte Tag und meine Vorbereitungen endlich abgeschlossen:
das in der Schule gebastelte “Strohmannerl” für Mutti und die Flasche bayrisches Bier für den Papa. Für den konnte es auch schon mal eine Brotzeit sein, denn davon fiel dann meistens auch etwas für mich ab. Das aber
wurde von der Anzahl der erbettelten “Zehnerln”, welche ihm abzubetteln mir gelungen ist bestimmt. Ich hielt diese Kapitalverschiebung für eine Pfundsidee, war doch das Taschengeld erbärmlich knapp. Sämtliche
Bedenken waren dann sowieso spätestens am Spätnachmittag des “Heiligabend”, wenn uns fünf mächtige Schläge der Kirchturmuhr nach Hause trieben, vergessen. Dann saßen wir zitternd vor Aufregung, ähnlich wie der Spitz
vom Nachbarn, wie die Orgelpfeifen auf dem Küchensofa: meine zwei älteren Schwestern und ich. Nur Muttis gekonnt geheimnisvolles Lächeln beruhigte uns, dass Weihnachten absolut kein Grund zum fürchten ist. Wenn sie, die wohl
ein besonderes Verhältnis zum Christkindl haben musste, wieder mal schwupps ins angrenzende Wohnzimmer, das uns gleichzeitig als Schlaf- Ess- und Kinderzimmer diente, witschte, konnte es uns mit aufgerissenen Kinderaugen für
einen seligen Moment lang gelingen, den wunderbaren Christbaum zu erblicken. Mir entging nicht, wie akkurat wohl jedes einzelne Lamettafädchen auf die schon trockenen, grünen Tannenzweige gelegt worden war. Ganz brav und
still geworden, warteten wir Kinder nun, bis uns der liebliche Ton eines hellklingenden Glöckchens erlaubte, das frisch gebohnerte und mollig warme Zimmer zu betreten. Endlich! Dabei hatten uns schon die ganze Zeit vorher die
knarrenden Dielenbretter genau verraten, wo das Christkindl gerade zugange war! Nun war es soweit und recht andächtig bildeten wir mit unseren Eltern einen Halbkreis um den Tannenbaum, der wieder mal ein bisserl verwachsen
wirkte. Der Schein brennender Kerzen aber und viele silbern schimmernde Glaskugeln, machten ihn zum schönsten Baum der Welt, keine Frage. Wie in eine andere Sphäre eingetaucht hoben wir an unser obligatorisches Weihnachtslied
zu singen und vom immer etwas aufmüpfig vor sich hinbullernden Ölofen in der Ecke begleitet, erscholl alsdann das “Stille Nacht, Heilige Nacht”. Zwischendurch huschten meine neugierigen Augen über den bereits
eingedeckten Tisch und suchten die heißen Würsteln und den guten Kartoffelsalat, den es gleich geben würde. Dererlei verfressene Gedanken taten aber der heiligen Stimmung keinen Abbruch, ich schwör’s, und sogar der auf
seiner Rückseite tapezierte und dadurch als Raumteiler missbrauchte Kleiderschrank im Zimmer, erschien mir heute seltsam ansehnlich. Dann kam, wie übrigens auch in den Jahren davor erlebt, diese verflixte Stelle in dem
Liedlein, die meine Schwester Christel immer dazu verleitete, einen aufjaulenden, schon arg anschwellenden ausgiebig hochzuziehen: “Christ der Retter ist (und jetzt kommt’s!) daaaa”. Meiner Schwerster
Frohgesang gellte in unseren Ohren und schlagartig war’s aus mit der Besinnlichkeit! Die aus Ergriffenheit fließenden Tränen meiner Eltern, wurden zu Lachtränen, zumal meine Schwester es nicht unterließ, sich beim
höchsten Ton auf die Zehenspitzen zu stellen. Wer konnte da noch ernst bleiben? Die deutsche Wehmut war der offenen Heiterkeit nicht gewachsen und alle waren heilfroh sich endlich in die Arme nehmen zu können und sich ein
“rohes Weihnachten!” anbieten zu können. Mit dem für diesen Augenblick aufgesparten Jubelschrei, stürzte ich mich auf die schlichte Eisenbahn, die mir bereits vom letzten Weihnachten und vom vorletzten und...
bestens vertraut war. Sofort begann ich wieder den kleinen Rundlauf der Bahn auf den Schienen zu bewundern, denn in wenigen Tagen würde das sparsame Christkindl dieses herrliche Geschenk wieder abholden, um es erneut in die
unergründliche himmlischen Lagerbestände einzusortieren; so jedenfalls meine Erfahrung. Die liebevoll in Geschenkpapier eingewickelten Überraschungen waren allzu schnell ausgepackt. Auch wenns nur handgestrickte graue
Wollsocken und Fäustlinge, welche unsere klammen Fingerchen beim Schlittenfahren vergeblich zu wärmen versuchen würden, oder gar nur bunte Pullover, zusammengestrickt aus der aufgewickelten Wolle zu klein gewordener Sachen,
waren, so machten wir doch einen hochzufriedenen Eindruck. Weil die Leckereien auf dem Weihnachtsteller: Äpfel, Walnüsse und ein, zwei Orangen hurtiputz verdrückt wurden, förderte das den Unmut der Mutter und sie rettete gerade
noch einige der köstlichen und selbstgebackenen Weihnachtsplätzchen, “Spritzgebäck” genannt. Hatte sie doch manche Abendstunde zu deren Herstellung geopfert! Es kam vor , dass sich unsere Berliner Oma es sich
nicht nehmen ließ uns vielleicht ärmeren, bayrischen Verwandten ein Postpäckchen zukommen zu lassen. Da sie bei ihren seltenen Besuchen stets heftig mit allerlei Schmuck behängt war, hielten wir Kinder sie für reich! Das
verheissungsvoll unter dem Weihnachtsbaum liegende Päckchen, durfte dann ergründet werden.Wenn jeder eine Tafel Schokolade in Händen hielt und ich auch noch ein Buch mit der kurzherzigen Widmung: “Für Gerhard, von
Omi” in Besitz nehmen durfte, war das Glück vollkommen. Dieses Buch würde es sich nun gefallen lassen müssen, vor und zurück und wieder vielmals von vorne gelesen zu werden. War doch jedes Buch eine neue Welt, in
die es sich lohnte, mit ganzer Seele und Phantasie einzutauchen und zwar vorbehaltlos, und in voller Absicht mich dabei von den Erzählungen aus meinem kleinen Städtchen in spannende Abenteuer treiben zu lassen. gestritten
haben wir Geschwister uns nie, an Weihnachten. Dazu war uns einfach zu wohl ums Herz und schließlich gabs ja noch das Jesuskindl, das wir nicht nur im Herzen, sondern auch im Kopf hatten. Ob es gelungen ist, solches
Weihnachtsgefühl im späteren Leben wieder zu finden? Ich glaub ich weiß es nicht.... FROHE WEIHNACHT’, lieber Mensch
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